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Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen über die Geltendmachung von objektiv undenkbaren Ersatzansprüchen
von Dr. Lukas Fantur | 21. Dezember 2025
- Wenn Gesellschafterbeschlüsse ihre Grenze finden
- Das gesetzliche Stimmverbot: Abstrakt und zwingend
- Die entscheidende Einschränkung: Objektiv undenkbare Ersatzansprüche
- Was bedeutet „objektiv nicht denkbar“?
- Treuwidrigkeit als Korrektiv des Mehrheitsrechts
- Rechtsfolge: Anfechtbarkeit des Beschlusses
- Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
- Die konkreten Aussagen des OLG Graz zusammengefasst:
- Über mich
Wann sind Gesellschafterbeschlüsse über Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer und Gesellschafter anfechtbar? Das OLG Graz klärt die Grenzen bei objektiv undenkbaren Ersatzansprüchen.
Wenn Gesellschafterbeschlüsse ihre Grenze finden
Gesellschafterbeschlüsse sind das zentrale Steuerungsinstrument bei der GmbH. Doch nicht jeder formal korrekt gefasste Beschluss ist auch rechtlich haltbar. Besonders heikel wird es, wenn eine Gesellschaft beschließt, Schadenersatzansprüche gegen einen Gesellschafter geltend zu machen.
Mit seiner Entscheidung vom 27. Jänner 2025 (2 R 164/24s) hat das Oberlandesgericht Graz klargestellt, dass selbst bei bestehendem Stimmverbot des betroffenen Gesellschafters nicht jeder Beschluss zulässig ist. Entscheidend ist, ob der behauptete Ersatzanspruch überhaupt objektiv denkbar ist.
Das gesetzliche Stimmverbot: Abstrakt und zwingend
Zunächst bestätigt das OLG Graz einen in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz:
Bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Gesellschafter besteht für diesen ein Stimmverbot.
Dieses Stimmverbot gilt nicht nur für den Beschluss über die Anspruchsdurchsetzung selbst, sondern auch für damit zusammenhängende Entscheidungen, insbesondere:
• die Bestellung eines Prozessvertreters,
• organisatorische Maßnahmen im Zusammenhang mit der Anspruchsverfolgung.
Wichtig ist dabei:
Das Stimmverbot ist abstrakt ausgestaltet. Es greift unabhängig davon, ob der geltend gemachte Anspruch später tatsächlich berechtigt ist oder nicht. Der Zweck liegt auf der Hand: Ein Gesellschafter soll nicht Richter in eigener Sache sein.
Die entscheidende Einschränkung: Objektiv undenkbare Ersatzansprüche
An dieser Stelle setzt die entscheidende Klarstellung des OLG Graz an. Das Gericht stellt unmissverständlich fest:
Ist ein Ersatzanspruch gegen den Gesellschafter objektiv nicht denkbar, ist eine entsprechende Beschlussfassung treuwidrig und daher anfechtbar.
Mit anderen Worten:
Auch wenn das Stimmverbot formell besteht und eingehalten wird, schützt dies einen Beschluss nicht automatisch vor rechtlicher Überprüfung.
Was bedeutet „objektiv nicht denkbar“?
Ein Ersatzanspruch ist dann objektiv nicht denkbar, wenn bereits nach der Sach- und Rechtslage offensichtlich ausgeschlossen ist, dass der Gesellschaft ein Schadenersatzanspruch zustehen kann. Beispiele können sein:
• Es fehlt jede rechtliche Anspruchsgrundlage.
• Das behauptete Verhalten ist offenkundig nicht pflichtwidrig.
• Ein Schaden oder ein Kausalzusammenhang ist rechtlich ausgeschlossen.
In solchen Fällen dient der Beschluss nicht mehr der Wahrung von Gesellschaftsinteressen, sondern kann andere – etwa taktische oder persönliche – Motive verfolgen.
Treuwidrigkeit als Korrektiv des Mehrheitsrechts
Das OLG Graz greift hier auf einen zentralen Grundsatz des Gesellschaftsrechts zurück: die Treuepflicht der Gesellschafter.
Auch Mehrheitsgesellschafter dürfen ihre Beschlussmacht nicht missbrauchen. Ein Beschluss über die Geltendmachung eines offensichtlich aussichtslosen Schadenersatzanspruchs überschreitet diese Grenze.
Rechtsfolge: Anfechtbarkeit des Beschlusses
Die Konsequenz ist klar:
Ein solcher Beschluss ist anfechtbar.
Das bedeutet, dass der betroffene Gesellschafter den Beschluss gerichtlich überprüfen lassen kann. Wird die Treuwidrigkeit festgestellt, ist der Beschluss aufzuheben – selbst dann, wenn das formelle Stimmverbot korrekt beachtet wurde.
Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Das OLG Graz macht deutlich:
Das abstrakte Stimmverbot bei Ersatzansprüchen ist wichtig, aber kein Freibrief für beliebige Beschlussfassungen. Wo ein Ersatzanspruch objektiv nicht denkbar ist, endet die Beschlussfreiheit – und beginnt die Treuwidrigkeit.
Gesellschafterbeschlüsse müssen nicht nur formal korrekt, sondern auch sachlich vertretbar sein.
Quelle: OLG Graz 27.01.2025, 2 R 164/24s
Die konkreten Aussagen des OLG Graz zusammengefasst:
- Das Stimmverbot eines Gesellschafters bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen ihn sowie bei der damit zusammenhängenden Bestellung eines Prozessvertreters ist abstrakt und besteht daher jedenfalls.
- Ist jedoch ein Ersatzanspruch gegen den Gesellschafter objektiv nicht denkbar, so ist eine diesbezügliche Beschlussfassung der Gesellschafter treuwidrig und damit anfechtbar.
Über mich
Ich bin Rechtsanwalt in Wien und (Mit-)Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (GES). Als Rechtsanwalt in Wien beschäftige ich mich mit Gesellschafterstreit bzw. Konflikten in Gesellschaften.
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Themen: Gesellschafterbeschlüsse, GmbH | 0 Kommentare »

